Anatomy - Eine Liebegeschichte by Schwartz Dana

Autor:Schwartz, Dana [Schwartz, Dana]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Belletristik für Kinder und Jugend
ISBN: 9783732019618
Herausgeber: Loewe Verlag
veröffentlicht: 2022-12-07T00:00:00+00:00

19

Das leise Klopfen ließ Hazel aufschrecken. Sie war gerade vollauf damit beschäftigt gewesen, den Magen der Leiche zu sezieren, um die dazugehörigen Blutgefäße in einer Zeichnung abzubilden. Nachdem sich ihr Herzschlag beruhigt hatte, widmete sie sich wieder ihrer Arbeit. Sicherlich war es nur ein Vogel gewesen. Einer von diesen kleinen schwarzen, die in den Bäumen an der Auffahrt zwitscherten. Doch dann klopfte es erneut, diesmal ein bisschen heftiger.

»Miss!« Es war Ionas gedämpfte, verängstigte Stimme. Erneutes Klopfen. »Miss, bitte!«

Seufzend wischte Hazel die Klinge des kleinen Skalpells an ihrer Schürze ab. Sie hatte gerade die verschiedenen Schichten der Magenschleimhaut auseinandergezogen und war ausgezeichnet vorangekommen. Doch nun stapfte sie widerwillig zum Ausgang, und erst als sie sich bewegte, spürte sie die Schmerzen in Nacken und Schultern. Sie musste seit Stunden gearbeitet haben, so vertieft in ihre Aufgabe, dass die Zeit einfach vorbeigerauscht war. Hazel öffnete die Tür einen Spaltbreit und stellte erstaunt fest, dass es draußen taghell war.

Ionas Blick wirkte ängstlich, was nur noch schlimmer wurde, nachdem sie Hazels blutverschmierte Schürze bemerkte. »Ich wusste nicht, ob ich Sie stören sollte, aber …«

Nach so vielen Stunden im schummrigen Licht der langsam niederbrennenden Kerzen musste Hazel den Arm vor die blutunterlaufenen Augen heben, um sie gegen die Helligkeit draußen abzuschirmen. »Musst du mich denn stören?«, unterbrach sie ihre Kammerzofe. Sie hatte so lange nicht gesprochen, dass ihre Stimme seltsam krächzte und die Worte schärfer klangen, als sie es beabsichtigt hatte. »Tut mir leid, das war nicht so gemeint. Was kann ich für dich tun, Iona?«

Iona rang die Hände. »Es ist nur … heute Abend. Ich meine, in ein paar Stunden … der Ball.«

Es war ein bedeckter Tag, schwere graue Wolken hingen tief am Himmel. Sie waren hier in Schottland, es sollte also trüb sein … Warum war es dann trotzdem so hell? Hazel kämpfte gegen den Drang an, sich in die schattige Dunkelheit zurückzuziehen wie ein Pilz. »Was für ein Ball denn?«

Iona blickte hinter sich, als wäre da noch eine andere Dienerin, die ihr die unangenehme Aufgabe abnehmen könnte, Hazel diese Information zu überbringen. »Der … äh … Ball der Almonts.«

Hazel blinzelte, während diese Information den für solche Dinge zuständigen Teil ihres Gehirns erreichte. »Oh, Mist. Mist, Mist, Mist!«

Ionas Blick war flehentlich. »Es ist schon Nachmittag, Miss.«

»Nachmittag? Schon? Wie ist das möglich?!« Ohne es zu merken, hatte sie die ganze Nacht und den ganzen Vormittag gearbeitet. Als sie aus dem Verlies auf den matschigen Weg hinaustrat, verriet ihr ein einziger Blick in Ionas Gesicht, wie sehr sie stinken musste. Ihre Haare waren unter einer klebrigen Mischung aus Tinte und Leichenblut verfilzt. Von dem, was sich wahrscheinlich unter ihren Fingernägeln befand, einmal ganz zu schweigen.

»Wir schaffen das schon«, sagte Iona, wenngleich ihre Miene deutlich erkennen ließ, dass sie daran allergrößte Zweifel hatte. »Ich habe Charles gebeten, ein Bad einzulassen.«

»Gute Idee«, sagte Hazel, während beide Frauen mit großen Schritten in Richtung Schlosseingang eilten. »Die einzige Veranstaltung der Saison, die ich nicht verpassen darf.« Hazel seufzte angesichts des langen, unangenehmen Nachmittags, der ihr bevorstand, gefolgt von einem noch längeren, unangenehmeren Abend.

Download

Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.